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© Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress
4. Oktober 2018

Kostbare Kostproben

Judith Hermanns Lit.Eifel-Lesung lässt lauschen – Sympathisch offen bietet sie einen gehaltvollen Genuss – Ihr „Sommerhaus, später“ steht zwischen Kleist und Faust

Schleiden – Ihre Erzählweise ist zart, sorgsam gewählt, tiefgründig, berührend. Die Worte und Sätze, die die Schriftstellerin Judith Hermann aus ihren Werken in der Schleidener Clara-Fey-Schule liest, lassen lauschen, drängen Gefühle hervor, setzen Prozesse in Gang und Gedanken frei.

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Ihre Erzählweise ist zart, sorgsam gewählt, tiefgründig, berührend. Die Worte und Sätze, die die Schriftstellerin Judith Hermann aus ihren Werken in der Schleidener Clara-Fey-Schule liest, lassen lauschen, drängen Gefühle hervor, setzen Prozesse in Gang und Gedanken frei. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Unprätentiös, die Haare locker zu einem Dutt zusammengebunden, gibt sie sich sympathisch offen und bietet den Zuhörern mit ihren Werken beim Lit.Eifel-Abend einen gehaltvollen Genuss.

Sätze, die Sehnsüchte heraustropfen lassen

Hier ein leichter Satz, wie zufällig abgedruckte Worte, die bewegen, und dann wieder doppelten Boden und versteckte Botschaften bieten. Sie wühlen auch auf, elektrisieren, regen zum Nachdenken an. Dort eine unerwartete Wendung, hier eine falsche Frage, dann wieder Sätze, die Sehnsüchte heraustropfen lassen.

Judith Hermann muss eine liebevolle und sensible Beobachterin sein, der kleinen Momente, der unscheinbaren Gesten und zufälligen Begegnungen. Gleichsam hat sie auch die Gabe, diese Eindrücke in wundervolle Erzählungen zu fassen. Davon bekommt das Publikum der Lit.Eifel-Lesung in Schleiden kostbare Kostproben. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Sie muss eine liebevolle und sensible Beobachterin sein, der kleinen Momente, der unscheinbaren Gesten und zufälligen Begegnungen. Gleichsam hat sie auch die Gabe, diese Eindrücke in Erzählungen zu fassen, wissend, wie Ungesagtes zuweilen viel mehr sagen kann. Davon bekommt man in Schleiden kostbare Kostproben.

Sommerhaus, später – eine Chance von vielen?

Sie liest von „Stein“, dem Ex, und anderen Freunden, vom beredeten Schweigen, vom Sommerhaus, später, das nicht mehr als eine Ruine ist und dennoch so viele Träume birgt, um am Ende vor der Erfüllung doch dem Feuer zum Opfer zu fallen. Hat sie, die Ich-Erzählerin im Buch, eine Chance verstreichen lassen? Oder doch nur eine Möglichkeit? Die vielleicht nur eine von vielen gewesen wäre.

Heute ist ihr Werk „Sommerhaus, später“ im Zentralabitur Nordrhein-Westfalens eine Pflichtlektüre. Ihr Erstlingswerk steht neben Werken von Kleist und Faust. Sie ist damit in den Literaten-Olymp vorgedrungen.

Vor Erstlingswerk wie in einem Kokon geborgen

Ja, der Erfolg, sagt Hermann rückblickend und nachdenklich. Damals, vor rund 25 Jahren sei sie wie in einem Kokon geborgen gewesen, noch vor dem Erstlingswerk, das so berühmt und hochgelobt wurde – sogar von Litaturpapst Marcel Reich-Ranitzki im literarischen Quartett. Der kometenhafte, unaufhaltsame Aufstieg setzte ein. Sie schaffe den Sound einer neuen Generation, lobten die Kritiker damals schon.

Einfacher wurde es dadurch wohl nicht. „Ich hätte gerne gewusst, wie ich weitergeschrieben hätte, wenn ich länger in diesem isolierten Raum gewesen wäre. Weil alles andere, was ich danach schrieb, war natürlich ein Schreiben nach dem Erfolg.“ Und das war anders.

Christoph Leisten, Lehrer der Schule und Literat, führte charmant durch den Abend und entlockte der Autorin Judith Hermann, die morgens auch schon vor den Schülern der Schule aus ihren Werken gelesen hatte, schöne Antworten auf tiefgehende Fragen. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Weil, wie sie erzählt, man nach dem kometenhaften Aufstieg Respekt hat. Weil man auf einmal merkt, das wird gelesen, was sie bisher einfach traumwandlerisch sicher mit geschlossenen Augen geschrieben hat. „Als ob man jetzt über ein Seil geht“, beschreibt sie das Gefühl. Das Selbstvergessene und Selbstverlorene – ab da unwiderruflich vergangen.

„Lettipark“ ist das jüngste Werk, der 1970 in Berlin-Tempelhof geborenen Autorin. In der gleichnamigen Kurzgeschichte, die sie vorträgt, geht sie auf Spurensuche des Lebens, zeigt, wie Begegnungen die Zukunft entscheidend verändern können. Rose, Elena, Page und der Inder sind verwoben in ihren Lebenslinien und doch getrennt. An der Kasse treffen sie aufeinander, hinter auf- und zugehenden Schiebetüren. Und eine große Frage, die am Ende stehenbleibt: Worauf wartet Rose?

Autobiografischer Kern

Wie solche Geschichten zu ihr kommen, verrät sie den Zuhörern im Saal gerne: „Es gibt in jeder Geschichte einen autobiografischen Kern. Einen Moment, der eins zu eins, in meinem Leben zu finden ist.“ Wer jetzt Pompöses sucht, ist auf der falschen Fährte. Dieser Satz sei meist etwas Kleines, Unscheinbares, so die Schriftstellerin: „Im allereinfachsten Fall ist es ein Satz, der einen Widerhaken hat und stecken bleibt.“ Darum herum webt sie ihre Erzählung und Figuren. Welche es sind, will sie ungern verraten, um ihre Texte für die Leser nicht zu entzaubern.

Unprätentiös, die Haare locker zu einem Dutt zusammengebunden, gibt sich Judith Hermann sympathisch offen und bietet den Zuhörern mit ihren Werken beim Lit.Eifel-Abend einen gehaltvollen Genuss. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Christoph Leisten, Lehrer der Schule und Literat, führte charmant durch den Abend und entlockte der Autorin, die morgens auch schon vor den Schülern der Schule aus ihren Werken gelesen hatte, schöne Antworten auf tiefgehende Fragen.

Für solch offene und vielsagende Enden liebe sie Kurzgeschichten

„Und worauf wartet Rose genau?“, fragt er auch nach dem Ende von „Lettipark“. Die Deutungshoheit müsse der Leser haben, meinte Hermann und zitierte einen Satz von Schriftstellerkollege Raymond Carver, der sagte: „In einem Moment fühlen wir dieses und im anderen etwas völlig anderes.“ Die Ambivalenz der schwankenden Gefühle sei zuweilen schrecklich krass. Eine Kurzgeschichte könne das sehr wohl hinnehmen, sogar aushalten. Gerade für solche offenen und vielsagenden Enden liebe sie Kurzgeschichten.

pp/Agentur ProfiPress

Kategorien:
Kultur

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Autor(in): Klaus Schäfer
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