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27. Juni 2017

“Rettet das Dorf!” – Zur Zukunft des ländlichen Raumes

Aufrüttelndes Plädoyer des “Dorfpapstes” Prof. Gerhard Henkel

In den Städten wird es immer enger, viele Dörfer auf dem Lande werden immer leerer. Sie werden leerer an Arbeitsplätzen, an Menschen, die dort wohnen, aber auch an Infrastruktur, die verloren gegangen ist, und auch an kommunalpolitischer Betätigung. Haben die Dörfer noch eine Zukunft? Und wie könnte sie aussehen? Dazu referierte Gerhard Henkel, Humangeograf, Professor im Ruhestand an der Universität Duisburg-Essen, auf Einladung der Kreissparkasse Bitburg-Prüm in der Stadthalle Bitburg. Seit 45 Jahren befasst er sich mit unterschiedlichen Themen der historischen und aktuellen Entwicklung des ländlichen Raumes. Henkel hat sich intensiv mit der Entwicklung ländlicher Räume und dörflicher Kommunen beschäftigt und zuletzt im letzten Jahr ein Buch mit dem alarmierenden Titel “Rettet das Dorf!” publiziert, auf das er in Bitburg Bezug nahm.

Vorbei sind die Zeiten der Suburbanisierung, als der Traum vom Einfamilienhaus im Grünen der Lebensrealität der Kleinfamilie entsprach, in der sich die Frau zu Hause um Kinder, Küche und Kirche sorgt, während der Mann zum Arbeiten in die nächste Metropole pendelt. Das Statistische Bundesamt erwartet bis 2050 einen Einwohnerrückgang von zwölf Millionen, vor allem auf dem Land. Gegen den Megatrend der Urbanisierung, die den Großstädten wegen ihres kulturellen Angebots und der Vielfalt von Lebensformen auch für Singles zu stetigem Wachstum verhilft, ist das Land in die Defensive geraten.

„Ich habe das Dorf ja noch so in den 50-er Jahren miterlebt und in dieser Zeit war das Dorf regelrecht voll. Die Häuser waren voll von Menschen, es gab in jedem Haus irgendwie eine Aktion, Landwirtschaft, Handwerk, dann gab es Geschäfte, dann gab es Schneidermeister, es gab Schmieden und es gab alle möglichen Arten von Bewegung. Und ich kann mich erinnern, dass ich als Junge stundenlang durch das Dorf laufen konnte, um immer irgendetwas zu sehen, zu erleben. Also, man nannte das bei uns in Westfalen stromern, herumstromern, um zu gucken, was es Neues gab. Und das ist heute nicht mehr der Fall. Wenn Sie heute durch Dörfer gehen, so mitten in der Woche, mitten am Tage, dann können Sie schon eine gewisse Ruhe oder Stille oder vielleicht auch beängstigende Stille erleben, weil in vielen Dörfern eben kein Laden mehr ist, kein Gasthof mehr ist und auch kein Café ist. Und Sie treffen auch keinen Bürgermeister und auch keine Schule mehr dort und entsprechend ist es in vielen Dörfern still geworden“, resümierte der 1943 geborene Prof. Henkel den Trend der Dorfentwicklung der letzten Jahrzehnte.

Doch er benannte nicht nur die Probleme, die auf vielen Dörfern herrschen, also vor allem die Abwanderung, sondern wies auch auf die Lebensqualität der Dörfer hin und nannte Merkmale, die einen „wichtigen Unterschied“ zwischen attraktiven und unattraktiven Dörfern ausmachen. Ein „richtiges Dorf“, das habe eine gewisse Infrastruktur, gewisse vielleicht auch bauliche oder historische Substanz. Diese Attraktivitätsmerkmale seien vielerorts in den 70er-Jahren unter die Räder gekommen.

„Man hatte zur damaligen Zeit keine Sensibilität, es waren einfach die Vorgaben von zentralen Entscheidern, die wenig sensibel waren oder gar nicht sensibel waren und oft zu baukulturellen Entmündigungen der Dörfer führten. Aber der zweite Riesenverlust, den das Dorf erlebt hat, war zur gleichen Zeit – das war auch noch stärker eine Entmündigung des Dorfes durch die kommunalen Gebietsreformen -, wo man fast die Hälfte der deutschen Dörfer, an die 20.000 Dörfer durch Gesetze ihrer kommunalen Selbstverantwortung beraubt hat. Man hat also in Jahrhunderten gewachsene, lokal-kommunale Einrichtungen wie den Bürgermeister und den Gemeinderat beseitigt. Und hat ihnen gesagt, wir brauchen euer kommunales, lokales Nachdenken, Fühlen und Handeln für die Örtlichkeit nicht mehr, das regeln wir jetzt von Institutionen, die 15 oder 20 Kilometer entfernt sind. Und wir brauchen von euch 12 oder 15 Gemeinderäten nur noch einen oder zwei, die im Großgemeindeparlament, nach der Eingemeindung irgendwo zehn Kilometer oder 20 Kilometer weiter sitzen. Das heißt, der Staat hat eine in Jahrhunderten gewachsene Institution der Selbstverantwortung, die sich bewährt hat, die auch gesorgt hat dann für Feuerwehr, für Schützenvereine, für Polizei, für Schule und so weiter, beseitigt. Und das ist jetzt hochgerechnet auf den Gesamtstaat in Deutschland, sind das 300.000 ehrenamtlich tätige Kommunalpolitiker, die man beseitigt hat. Das war eine so rabiate Entmündigung des Dorfes, die an die Substanz des Dorfes ging, weil dann eben in der Phase des ökonomischen und sozialen Wandels die Kraftmitte des Dorfes fehlte, die bei dieser Umsteuerung helfen konnte. Besonders schlimm ist es jetzt in den neuen Ländern, in Thüringen und in Brandenburg, wo jetzt schon die zweite Welle von Gebietsreformen läuft und die Menschen auf dem Lande hautnah erleben, dass der Staat sich für ihre Belange nicht interessiert“, beklagte Henkel.

Forscher der Dorfentwicklung trifft auf Gestalter derselben: Prof. Gerhard Henkels Ansichten decken sich mit den von Landrat Dr. Joachim Streit initiierten Leitsätzen aus dem Kreisentwicklungskonzept.

Ähnliches erlebe man aktuell in noch schlimmerer Form auf kirchlicher Ebene. „Die Amtskirche beseitigt die Volkskirche!“ Mit der Pfarreienreform bleibe die Seelsorge auf der Strecke. Obwohl es ihr kaum noch schlechter gehen könne, mache die Amtskirche das Schlimmste, was man sich vorstellen kann: Katholische Bistümer und Evangelische Landeskirchen lösten die oft seit Jahrhunderten bestehenden Pfarreien auf und zwängen sie zu Gemeindefusionen. Aus bisher 5, 10 oder 30 Ortsgemeinden, die oft zig Kilometer auseinanderlägen, würden Großpfarreien gebildet, die man bisweilen wohlklingend aber nebulös „Pastorale Räume“ nenne. „Die Amtskirche ist dabei, dem Dorf das Herz zu brechen!“, so Henkel.

Das Fazit des „Dorfpapstes“ war dennoch ein leidenschaftliches Plädoyer für den Erhalt, für die Wiederbelebung der Dörfer. „Es bleibt den Dörfern nichts anderes übrig: sie müssen ihr Heft selbst in die Hand nehmen!” Henkels Ideal: „Das ideale Dorf ist gemeinschaftsorientiert. Dieses Gemeinschaftsleben in den Dörfern, dass man sich kennt, dass man Vereine hat, dass man Punkte hat, wo man sich treffen kann, für die Jungen ebenso wie für die Senioren. Es ist naturnah und es sind Leute da, die etwas machen und die auch etwas in Gemeinschaft machen. Und das hat schon eine Attraktion. Und deswegen kommen auch Familien mit Kindern verstärkt wieder, dass die sich sagen: Wenn wir jetzt Kinder haben, dann müssen wir sehen, dass wir aus München wegkommen oder aus Berlin, um auf das Land zu ziehen, weil vom Gefühl her, aber auch von soziologischen Untersuchungen her einfach Kinder auf dem Lande gesünder und auch stabiler groß werden.“

 

Die „kommunale Familie“ verfolgte mit Interesse die Thesen des „Dorfpapstes“ Prof. Gerhard Henkel.

Das Dorf müsste zunächst mal ein Dorf sein, das sich selbst verantworten kann mit einem eigenen Gemeinderat und einem eigenen Bürgermeister, diesem Kraftzentrum, dem demokratisch legitimierten, gewählten Kraftzentrum, das sich um die eigene kleine Gemarkung kümmert und diese eben verantwortungsbewusst mit den Bürgern und auch dem Staat, den Leitbildern, die der Staat gibt, verhält. Dieses Dorf hat neben dem Bürgermeister und dem Gemeinderat auch noch die eigene Pfarrei, hat möglichst noch einen Kindergarten, hat eine kleine Schule, eine Grundschule vielleicht nur, hat einen Gasthof, hat einen Laden und hat auch diverse Handwerksbetriebe und natürlich die Vereine, die einen wesentlichen Teil der sozialen und Freizeitinfrastruktur haben. „Und ich wünsche mir auch, dass das Dorf dann auch sich als sorgende Gemeinschaft fühlt und präsentiert für die kleinen Dorfbewohner und für die Älteren. Ich hoffe, dass es dann auch schön aussieht, dass also die historische Bausubstanz, die da ist, gepflegt wird, und dass auch möglichst die umgebende Landschaft ein schönes Bild abgibt. Dann wäre dies der Idealzustand“, so Henkel. „Gibt den Dörfern ihren Stolz zurück!“

 

Dem schloss sich Landrat Dr. Joachim Streit aus tiefer Überzeugung an. Die „kommunalpolitische Familie des Eifelkreises“ sei hier hervorragend aufgestellt und mache mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen alles richtig. Beispielgebend dafür seien Aktionen wie der „Zukunfts-Check Dorf“, der allein 50.000 Bürgerinnen und Bürger an ihren örtlichen Entscheidungsfindungen mit einbeziehe, die „Initiative Baukultur Eifel“, die auf den Erhalt der architektonisch regionalen Baukultur abziele und LEADER-Maßnahmen mit kreisweiten Aktionsgruppen, die die Entwicklung und Stärkung des ländlichen Raumes zum Ziel haben.

 

Kategorien:
AltersWohnsitz · Kultur · LebensWelten

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Autor(in): Klaus Schäfer
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