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17. Oktober 2016

Sich selbst vernichten, damit die Worte perlen

Beim Lit.Eifel-Leseabend im Eupener Jünglingshaus gab der vielfach preisgekrönte Schriftsteller Feridun Zaimoglu fesselnde Einblicke in die Freuden und Mühen des schöpferischen Prozesses seines Werkes „Siebentürmeviertel“ – Schüler wie Erwachsene hingen gebannt an den Lippen des wortgewaltigen Erzählers

EupenAm Ende wusste man nicht mehr was faszinierender gewesen war: die rund einstündige, ungemein spannende, beinahe szenische Lit.Eifel-Lesung selbst, bei der die sanft-raunende, Wort für Wort wohl akzentuierende, vielseitige Stimme von Feridun Zaimoglu binnen Sekunden einen mitreißenden Sog entwickelt hatte. Oder das sich anschließende Gespräch mit dem Publikum, für das sich der vielfach preisgekrönte Schriftsteller sehr viel Zeit nahm. Hier wie dort hingen die Literaturfreunde im Eupener Jünglingshaus gebannt an den Lippen des Kieler Autors mit türkischen Wurzeln, der ein anderer wird, wenn er schreibt, wie er seinen Zuhörern an diesem Abend verriet. „Schreiben kann ich nur, wenn ich mich selbst vernichte. Das klingt für Sie jetzt vielleicht etwas martialisch. Aber nur so funktioniert es. Erst wenn ich mich den Figuren auf dem Papier Schritt für Schritt anverwandle. Erst dann perlen die Worte. Dann finde ich zum Klang. Dann kommt die »Musik«.“

Bis er ein Werk beginnt, ist es ein harter, körperlich zehrender, von unzähligen Zweifeln geprägter, gleichsam aber auch „rauschhafter Weg“. Vier Jahre lang hat Feridun Zaimoglu an seinem Roman „Siebentürmeviertel“ gearbeitet. 800 Seiten, 99 Kapitel, ein Prolog und ein gewaltiges Inventar von rund 80 Figuren: das bedarf sorgfältigster Vorbereitung. Zaimoglu überlässt nichts dem Zufall. Hunderte von Notizen und Skizzen hat er bis dahin angefertigt, in der Art eines Storyboards, wie für ein Drehbuch. An der Wand hängt dann ein riesiger „Schlachtplan“, der illustriert, wie die Figuren interagieren. Ein Plan, auf dem die Szenen ablaufen und der die Dialoge vorgibt. Ein Plan, der „da sein muss, damit ich die Figuren auf der Strecke nicht verliere, damit die Geschichte nicht irgendwann explodiert.“

Auch die Deutsch-Abiturienten des Eupener Gymnasiums, die sich im Vorfeld der Lesung mit Texten Zaimoglus beschäftigt hatten, waren zur Lit.Eifel-Veranstaltung ins Jünglingshaus gekommen. Foto: Claudia Hoffmann/pp/Agentur ProfiPress

Auch die Deutsch-Abiturienten des Eupener Gymnasiums, die sich im Vorfeld der Lesung mit Texten Zaimoglus beschäftigt hatten, waren zur Lit.Eifel-Veranstaltung ins Jünglingshaus gekommen. Foto: Claudia Hoffmann/pp/Agentur ProfiPress

Mehr als eineinhalb Jahre lang hat er recherchiert für die Geschichte des sechsjährigen, mit seinem Vater vor dem NS-Regime nach Istanbul geflohenen Jungen namens Wolf, der dort eine Türkei jenseits der kemalistischen Fortschrittlichkeit erlebt. Voller Sprachgewalt zeichnet Zaimoglu hier ein Bild aus sich kaleidoskopisch gegeneinander verschiebenden Kapiteln, die allesamt und bewusst mit den „schönen Namen Gottes“ überschrieben sind und die dadurch auf eine alte Gebetsketten-Tradition verweisen. So wird auch Wolfs Geschichte zu einem komplexen archaischen Gefüge aus Aberglauben, weihevollen Mythen, Bildern und Gleichnissen, Freund- und Feindschaften.

Aus den Erzählungen seines Vaters, der in den 1960er-Jahren während der Gastarbeiter-Welle nach Deutschland gekommen war, hat Zaimoglu seinen Plot gewoben, der 1939 im Roman seinen Anfang nimmt. Denn recht schnell war klar geworden, dass er nicht die Geschichte seines Vaters erzählen wollte, sondern – umgekehrt – die „Geschichte eines deutschen Buben“ in der Türkei.

Rekonstruiert hat Zaimoglu sie nicht nur durch die archivierten Tonbandaufnahmen der Berichte seines Vaters, sondern auch durch Recherchen vor Ort. Nicht am Computer. Denn der ist in seinen Augen eine regelrechte „Wissensvernichtungsmaschine“. Niemals und in gar keinem Fall wolle er sich nur zweidimensionale Wissenshäppchen aneignen, denn dann würden Fehler passieren. Nicht nur ihm, sondern auch seinen Autoren-Kollegen. Beispiele gebe es in der Literatur zuhauf, vor allem bei Kleinigkeiten. So hat Zaimoglu die Zahl der Brücken um das „Sieberntürmeviertel“ noch einmal sorgfältig rekonstruiert. Von dem Viertel ist zu Zaimoglus großen Bedauern heute nur noch wenig übrig, unter anderem weil „Erdogan und seine frömmelnden Technokraten“ das ehemalige „Zigeunerviertel“ dem Erdboden gleichgemacht haben. Das Viertel, aus dem nach Zaimoglu viele ausgezeichnete Musiker hervorgegangen sind, sei heute eine sogenannte „gated community“, eine „bewachte Spießeroase“. Und doch wehe in einige Sträßchen und Gassen noch der „Hauch der alten Zeit“, der es dem Autor später ermöglichte, eine „andere Welt einzufangen“ und die Sprache seiner Figuren zu finden.

Der Kieler Autor Feridun Zaimoglu las im Eupener Jünglingshaus gestenreich aus seinem aktuellen Roman „Siebentürmeviertel“. Foto: Claudia Hoffmann/pp/Agentur ProfiPress

Der Kieler Autor Feridun Zaimoglu las im Eupener Jünglingshaus gestenreich aus seinem aktuellen Roman „Siebentürmeviertel“. Foto: Claudia Hoffmann/pp/Agentur ProfiPress

Letztere ist im Roman nicht nur poetisch, sondern mitunter sogar recht deftig. Keinesfalls ist sie allerdings die eines sechsjährigen Jungen, der als Ich-Erzähler zu Beginn der Geschichte seine Ankunft in Istanbul beschreibt – was man Zaimoglu durchaus zum Vorwurf gemacht hat, was der Kraft der Worte in seinem Roman jedoch keinen Abbruch tut. Worte, die Zaimoglu am Samstagabend mit gestenreich-fließenden Handbewegungen unterstrich. Wenn er liest, dann ist es für ihn, als würde sich ein „Zauberkasten“ öffnen, dann wird er noch einmal zu seinen Figuren. Von ihnen hat Zaimoglu nach Vollendung des Schreibprozesses Abstand gewonnen. „Wenn ich aus meinem Werk vertrieben worden bin, dann beginnt ein qualvoller Prozess des Loslassens. Dann fällt Zaimoglu in das berühmte „schwarze Loch“ und braucht eine Zeit sich zu erholen: „Die Seele ist noch drin, aber der Körper ist raus.“ Keine Seite in seinem Roman hat er zuvor auf seiner elektrischen Schreibmaschine zweimal geschrieben, denn „geschrieben ist gedruckt“. Was bedeutet, dass Seite für Seite im Verlag einzeln eingescannt werden muss, ehe die Druckfahnen Gestalt annehmen. Die liest Zaimoglu dann sieben- bis achtmal. Mit Abstand, was gut ist, findet er.

„Ist es ein historischer Roman?“ Auch darüber hatten sich die Literaturkritiker in der Vergangenheit vortrefflich gestritten. „Oder ist es vielleicht doch eher eine emotionale Autobiografie?“, wollte eine Zuhörerin wissen. Zaimoglu beantwortete beide Fragen in einem Schwung: „Alles, was sie in diesem Roman lesen, ist erstunken und erlogen. Und wenn ich bei diesen oder ähnlichen Gelegenheiten erzähle, dass das Buch nichts mit mir zu tun hätte, dann ist das vielleicht die schönste Lüge“, schmunzelte er.

Am Ende des spannenden Literaturabends waren auch die Erwartungen der Abiturientenklasse des Eupener Gymnasiums bestens erfüllt. Sie hatten sich im Rahmen des Deutsch-Leistungskurses auf die Texte Zaimoglus vorbereitet. „Super, wie es ihm gelingt, einen in die Geschichte reinzuziehen“, lobten die Schüler und hatten großes Vergnügen bei Zaimoglus Antwort auf die Frage, wie er die Entscheidung der Nobelpreiskommission beurteile, den diesjährigen Preis für Literatur an Bob Dylan zu vergeben. An die „krächzende Hupfdohle“, wie Zaimoglu ihn gerne nennt. „Als ich das gehört habe, hab‘ ich echt gelacht und gedacht: Greise Männer krönen ihren greisen Helden.“ Dabei gehe es gar nicht um Bob Dylan selbst. „Denn, was bleibt, wenn man der Musik die Musik nimmt? Nichts!“

pp/Agentur ProfiPress

Kategorien:
Kultur

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Autor(in): Klaus Schäfer
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