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4. Juli 2016

Lesen statt telefonieren

Der Lit.Eifel e.V. hat sieben ausrangierte Telefonzellen gekauft – Fünf haben Künstler und Kinder im Heimbacher Bauhof verschönert – Die Fernsprechkabinen sollen in fünf Orten als Bücherschränke dienen

Heimbach – Es ist so etwas wie der Friedhof der Telefonzellen, den die Deutsche Telekom in Brandenburg an der Havel betreibt. Rund 3000 ausrangierte, weil im Handyzeitalter nutzlos gewordene Häuschen, entweder in Gelb oder in Magenta, stehen dort herum. Weil das auch der Telekom zu viel wurde, beschloss das Bonner Unternehmen, die Zellen an Privatleute zu verkaufen.

Sieben solcher Telefonzellen hat der Lit.Eifel e.V. erworben. Allerdings werden die Fernsprechkabinen zweckentfremdet und zu Bücherschränken umfunktioniert. Zwei der Sprechzellen erhält die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien. Die anderen fünf Häuschen werden in Kommunen aufgestellt, die bei der Lit.Eifel teilnehmen. Welche Stadt oder Gemeinde sich glücklich schätzen darf, wird ausgelost, wie Prof. Dr. Frank Günter Zehnder, Leiter der Kunstakademie Heimbach, verriet.

Um Rhythmus und die Reihung von Büchern ging es der kölsch-polnischen Künstlerin Wieslawa Stachel bei der von ihr gestalteten Telefonzelle. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Um Rhythmus und die Reihung von Büchern ging es der kölsch-polnischen Künstlerin Wieslawa Stachel bei der von ihr gestalteten Telefonzelle. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Doch bevor die Telefonzellen aufgestellt werden können, mussten sie noch hergerichtet werden. Schlosser Bernd Maaßen, Geschäftsführer von Hermanns Schmiede und Schlosserei in der Altstadt von Monschau, fertigte das Innenleben, sprich, die metallenen Bücherregale an und installierte sie. Im Heimbacher Bauhof wurden die Zellen schließlich verschönert. Das Kunstprojekt war ausgeschrieben worden, wie Zehnder berichtet. Einzige Bedingung: Die Künstler müssen mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten. Nach dem Sichten der Entwürfe war klar, dass fünf Dozenten der Kunstakademie Heimbach – Beatrix von Bock, Michael Koch, Antonio Nuñez, Maf Räderscheidt und Wieslawa Stachel – sich der Sache annahmen.

Am Freitag und Samstag, 1. und 2. Juli, begannen die Künstler und 14 sie unterstützende Kinder aus der Offenen Jugendarbeit in Titz mit der Arbeit. Schon auf den ersten Blick war zu erkennen: Alle fünf Künstler hatten vollkommen unterschiedliche Ansätze, sodass alle Zellen echte Unikate sind.

Auf der von Michael Koch gestalteten Telefonzelle durften sich die Kinder größtenteils frei austoben. So entstand eine Dokumentation der Gegenwart. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Auf der von Michael Koch gestalteten Telefonzelle durften sich die Kinder größtenteils frei austoben. So entstand eine Dokumentation der Gegenwart. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Maf Räderscheidt widmete sich bekannten Märchen. Auf himmelblauem Untergrund fanden sich nicht nur die Geschichten der Brüder Grimm. Weil auch zwei Flüchtlingskinder aus Albanien mit den Kindern aus Titz nach Heimbach gekommen waren, durften sie die albanische Sage vom Mann, der einen Felsblock trägt, neben „Dornröschen“ verewigen. „Die Mädchen wollten unbedingt Rosen malen“, erklärte Räderscheidt diese Wahl. Ob in ihrer Telefonzelle nur Märchenbücher zu finden sein sollten, verneinte sie lachend. „Da soll natürlich auch Sex und Crime rein.“

Der Kölner Maler Michael Koch wählte einen sehr freien Ansatz. Bereits am Freitag hatte er die Zelle mit Farbe besprüht. Bei ihm konnten die Kinder und Jugendlichen Botschaften hinterlassen. So befand sich der Name eines Smartphones ebenfalls auf der Zelle wie das Logo von Batman oder eine Huldigung an den Fußballprofi Lionel Messi. „Ein paar Dinge habe ich selbst gezeichnet, etwa die Spinne, um Anreize zu schaffen“, erzählt Koch. Wieder etwas ganz anderes machte Beatrix von Bock aus Jülich. Ihre Zelle wurde mit einer besonderen Drucktechnik verziert. Gemusterte Tapetenstücke wurden auf Farbe gepresst und anschließend gegen die grün gestrichene Telefonzelle gedrückt, sodass die Muster auf dem Häuschen abgebildet waren.

Auch zwei Flüchtlingskinder waren unter den Kindern der Offenen Jugendarbeit Titz. Eines von ihnen verewigt die Sage vom Mann, der einen Felsen trägt, aus seiner Heimat Albanien auf der von Maf Räderscheidt gestalteten Telefonzelle. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Auch zwei Flüchtlingskinder waren unter den Kindern der Offenen Jugendarbeit Titz. Eines von ihnen verewigt die Sage vom Mann, der einen Felsen trägt, aus seiner Heimat Albanien auf der von Maf Räderscheidt gestalteten Telefonzelle. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Ebenso kunterbunt wie abstrakt waren die Ansätze, die Wieslawa Stachel, die in Köln und im polnischen Chelm lebt, sowie Antonio Nuñez aus Aachen verfolgten. Stachel ist eine Vertreterin der rhythmisch-organischen Malerei und zeigt das auch auf der pink gefärbten Telefonzelle. Auf den Scheiben und den großen Flächen hat sie bunte Muster gezeichnet, die für Bücher stehen: Senkrecht verlaufende Striche für das im Regal stehende Buch mit seinen aneinander gepressten Seiten, andere Formen stehen für das aufgeschlagene Buch mit losen Seiten oder das Blättern in einem literarischen Werk. „Sowohl von innen als auch von außen sollen die Menschen positiv angesprochen werden“, sagte Stachel. Nuñez hingegen arbeitete mit Maler-Kreppband. Es wurde auf die Zelle geklebt, eingefärbt und wieder abgezogen. So entstanden präzise, immer gleich breite waagerechte und senkrechte Streifen. Farbschicht für Farbschicht lag am Ende übereinander. Dabei hatte Nuñez zunächst eine andere Idee: Er wollte die Namen von allen Literaturnobelpreisträgern auf der Zelle verewigen, verwarf den Vorschlag dann aber. Mehr als Hundert Namen (der Literaturnobelpreis wird seit 1901 verliehen) waren ihm nämlich doch zu viel.

Hoffnung auf den Zuschlag für eine Zelle macht sich Heimbachs Bürgermeister Peter Cremer. Schließlich fand die Kunstaktion nicht nur im Bauhof der Stadt statt. Dessen Mitarbeiter waren schließlich auch mit den Vorbereitungen beschäftigt, etwa dem Abschleifen der alten Farbe. „Dass Heimbach eine Zelle bekommt, steht für mich fest“, sagte er. Er wüsste auch schon einen geeigneten Platz. „Vielleicht in die Nähe der Kunstakademie“, so Cremer.

Im Heimbacher Bauhof verwandelten fünf Künstler und Kinder der Offenen Jugendar-beit Titz fünf ausrangierte Telefonzellen in kunstvolle Bücherschränke. Initiatoren des Projekts waren der Lit.Eifel e.V. und die Kunstakademie Heimbach. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Im Heimbacher Bauhof verwandelten fünf Künstler und Kinder der Offenen Jugendar-beit Titz fünf ausrangierte Telefonzellen in kunstvolle Bücherschränke. Initiatoren des Projekts waren der Lit.Eifel e.V. und die Kunstakademie Heimbach. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Klar ist, dass der Lit.Eifel e.V. Partner braucht, die fünfjährige Patenschaften für eine Zelle übernehmen. „Das muss nicht unbedingt eine Kommune sein“, sagte Helmut Lanio, Vorsitzender des Programmbeirats der Lit.Eifel. Sichergestellt werden muss allerdings, dass ein Bücherschrank mit Strom versorgt wird. Außerdem muss regelmäßig kontrolliert werden, dass in dem Schrank nicht nur „alte Schinken“, die kein Mensch lesen möchte, abgeladen werden.

Lanio berichtete außerdem, wie abenteuerlich das Verfahren ist, um die Zellen überhaupt zu erhalten. „Man überweist das Geld für die Zellen zuerst und bekommt dann mit der Lieferung eine Rechnung.“ 550 Euro kostet eine ausrangierte Fernsprechkabine, hinzu kommen pro Kabine 80 Euro für einen neuen Sockel, Transportkosten sowie die Materialkosten für das Innenleben. „Dass das so kompliziert ist und so lange dauert, war für uns auch neu“, sagte Lanio – die Idee hatte der Verein schließlich schon vor zwei Jahren. Er freute sich aber, dass die Lit.Eifel nach „dreieinhalb Jahren Lesungen auch mal etwas Sichtbares realisiert.“

Und dann verriet er auch noch ein weiteres Projekt, das ihm vorschwebt. Er hätte gerne, dass der Lit.Eifel e.V. einen Bücherbus anschafft und so die Literatur an die unterschiedlichsten Orte bringt – und zwar vornehmlich dorthin, wo es keine Buchhandlungen gibt. „Das ist noch ein verrückter Traum“, so Lanio weiter. Aber vielleicht einer, der sich wie die Bücherschränke realisieren lässt.

pp/Agentur ProfiPress

Kategorien:
FamilienLeben · Kultur · LebensWelten

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Autor(in): Klaus Schäfer
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